Text: André Meier
Nie wieder, sagte ich zur Neubäuerin, nachdem wir zermürbt von 87 Stunden Dauerregen die ungeöffnete Sonnencremetube in den Koffer und die Fahrradschlüssel in den Hausbriefkasten unseres reetgedeckten Feriendomizils geworfen hatten. Sieben Tage Hiddensee genügten vollends, um zu bestätigen, was ich der Gattin bereits bei der Online-Buchung dieses wahrlich nicht billigen Quartiers prophezeit hatte: Wehe dem Landmann, der in den Urlaub flieht, während daheim die Ernteschlacht tobt! Zugegeben, nach fünf Jahren ununterbrochener Haus- und Hofsanierung hatten wir eine Auszeit dringend nötig. Aber klar war auch, dass dem überschwänglichen »Ja, gerne!« der Hoferbin nicht zu trauen war, mit dem sie unseren Auftrag, sich um Garten und Getier zu kümmern, entgegennahm. Deshalb sandte die Neubäuerin, kaum hatten wir unsere Scholle verlassen, auch schon die erste SMS mit Bewässerungsunterweisungen an die jugendliche Urlaubsvertretung ab. Sicher ist sicher!
Gott sah das offenbar genauso. Jedenfalls wrang er seinen Schwamm tagelang über Deutschland aus. Die mutterlosen Tomaten, Zucchini, Gurken daheim ebenso fürsorglich wässernd wie unsere Handtücher am Strand. Nach wenigen Tagen schon konnten wir die Getränkekarten sämtlicher Inselrestaurants mit geschlossenen Augen zweistimmig singen und, hätte man es verlangt, dazu auch noch Gerhart Hauptmanns Lebenslauf mit dem großen Zeh in den nassen Sand stenografieren. Bei Sonnenschein ist das Eiland wie der Berliner Kollwitzplatz mit Salzwasseranschluss. Bei Regen allerdings verwandelt sich diese Idylle in das Bukarest der Ceausescu-Zeit. Die Menschen hasten mit hochgeschlagenen Kragen frierend und stumm aneinander vorbei und stehen am Abend mit stoischer Miene wartend vor dem Hotel Godewind, während die Inselprominenz drinnen ihre Becher über die Reserviert-Schilder kreisen lässt.
Sozialanthropologisch ist das alles sehr interessant, aber für Besucher, die dergleichen Elend nicht für ihre Bachelorarbeit brauchen, sondern nur auf etwas Entspannung und Bräune erpicht sind, wenig erheiternd. Und als sich dann noch die Hoferbin meldete, um zu fragen, ob man die hässlichen kleinen schwarzen Dinger im stangenbewehrten Gesträuch tatsächlich essen kann und welche Frucht das denn eigentlich sei, war es mit dem besinnlichen Inselleben vollends vorbei. »Die Braunfäule!«, schrie die Neubäuerin auf und trommelte – »Meine schönen Tomaten!« – mit ihren von der Landarbeit gestählten Fäusten verzweifelt gegen meine Brust, bevor sie – »Wir müssen das Gemüse retten!« – die sofortige Abreise beschloss.
In Bioladen-Tomaten umgerechnet, so dachte ich, während die Fähre von Hiddensee ablegte, kostet uns die überhastete Inselflucht gut zwei Zentner. So viel spuckt der Garten in zehn Jahren nicht aus. Mit solchen Überlegungen aber konnte ich der Gattin nicht kommen, die mit dem Sektglas an der Reling um das Leben ihrer runden Zöglinge barmte. Wieder daheim, baute ich als Erstes ein Foliendach für die bedrohten Früchte, während die Neubäuerin, dankbar lächelnd, Schnittchen und Bier servierte. Urlaub kann so schön sein.