Wenn Paare streiten
Text: Stefan Schwarz
»Und ich stelle die Waage jeden verdammten Morgen vom Badläufer wieder auf die Fliesen, weil sie sonst kein richtiges Ergebnis anzeigt«, sagte Vater Dinkelkeks, wobei er jedes Wort so ausartikulierte, als trainere er für die Weltmeisterschaft im Silbenbetonen, mehr noch, als formuliere er diesen Satz gar nicht für seine Frau, sondern für opernglasbewaffnete Lippenleser am Fenster im Haus gegenüber. Es klang nach exakt jenem kleinlichen Gestreite, mit dem sich kluge Paare vor zu niedrigem Blutdruck und intellektuellem Verfall bewahren.
Die Stunde war wohl günstig. Denn eigentlich waren wir ja gekommen, um, von ausreichend Rotwein sediert, exakt 831 Urlaubsfotos der Dinkelkeksens an uns vorbeiziehen zu lassen. Wir lauschten den üblichen Blindenführer-Kommentaren: »Das ist am Strand!«, »Das sind wir!«, »Das ist irgend so ein berühmtes Haus, aber frag mich jetzt nicht, welches!«, »Das ist eine Pflanze, die da gerade geblüht hat!«. Doch nun brach anlässlich eines unschuldigen Hotelbadezimmer-Fotos ein offenbar schon lange quälender, schwelender »Darf eine Waage im Bad auf einem weichen Untergrund stehen?«-Streit aus.
Wir erwachten interessiert aus dem Bilderkoma. Mutter Dinkelkeks zuckte mit den Schultern. »Das kann ich doch nicht wissen!« Was für Langzeitbeziehungs-Unerfahrene wie eine Entschuldigung klingt, brachte Vater Dinkelkeks erst richtig auf die Palme. Im Wohnzimmer begann es zu gendern. Er fuchtelte mit der Fernbedienung herüber. »Ja, weil du immer denkst, dass Männer sich nichts denken!«
Ich rutschte in einer solidarischen Geste ein bisschen zu Vater Dinkelkeks hinüber. Denn: Er hatte recht! Frauen können männliche Ordnungssysteme nicht von zufälligen Anordnungen unterscheiden. Keine noch so Krimi-erfahrene Frau betritt ein von einem Mann hinterlassenes Zimmer mit dem Gedanken: »Es muss hier eine Ordnung geben! Ich kann sie nur noch nicht erkennen!« …