Welche Ehejahre sind die schwersten?
Text: Stefan Schwarz
Eines Tages in diesem Sommer klingelte es an der Tür meiner Eltern. Als meine Mutter öffnete, stand der Oberbürgermeister davor. Allerdings in der etwas gefälligeren Gestalt seiner Beigeordneten. Der Oberbürgermeister in Vertretung trug ein Blumenkörbchen und ergriff ergriffen die Hand meiner Mutter. »Alles erdenklich Gute zur Diamantenen Hochzeit«, sagte die Beigeordnete mit jener Überdeutlichkeit, die man oft bei Leuten findet, die viel mit Senioren zu tun haben. Meine Mutter, die trotz ihrer verwehten Achtzig weder schwer von Gehör noch schwer von Begriff ist, bedankte sich artig, sagte aber dann: »Na, die Blumen kommen aber 30 Jahre zu spät!«
Die Beigeordnete spähte verwirrt um die Ecke ins Zimmer, wo ihr mein Vater zwar mit aller gebotenen Altersschwäche, aber doch sichtbar unverstorben aus dem Pflegebett zuwinkte. »Wie auch immer«, überging die Beigeordnete ihre Verwirrung und richtete die Grüße des Oberbürgermeisters und überhaupt aller Menschen guten Willens aus.
Aber meine Mutter hatte recht. Warum gratuliert man Menschen, wenn sie sechzig Jahre verheiratet sind? Wo ist da die Leistung? Jeder weiß doch, dass die letzten 30 Jahre einer Ehe ein Klacks sind gegen die ersten 30 Jahre. Die ersten 30 Jahre haben es in sich. Da weht der Wind von vorn, da gibt der Boden unter den Füßen nach. Bei Bergsteigern wird deswegen ja auch auf dem Gipfel gefeiert und nicht erst, wenn man wieder zu Hause vorm Kamin sitzt. In der Mitte ihres Ehelebens brauchen die Menschen Blumenkörbchen und Urkunden. Nicht am Ende.
Egal, die Beigeordnete, überzeugt davon, dass die Länge einer Ehe eine besondere Qualität verrate, legte ihre Hände entzückt ineinander und erkundigte sich bei Muttern: »Nun verraten Sie uns doch mal Ihr Geheimnis! Sechzig Ehejahre! Wie schafft man denn das?« Aber anstatt mit gütigen Greisinnenaugen das Lob der Liebe anzustimmen, sagte Mutter nur: »Ach, man darf einfach nicht immer auf alles eingehen!« und …