Text: Anja Baum
Ich lebe gern auf dem Land. Noch viel lieber täte ich es freilich ohne die üblichen Zwänge der Erwerbsarbeit. Am allerbesten ohne Job und ohne Geld als echte Aussteigerin. Wenn man nämlich am Arsch der Welt im Grünen wohnt, aber jeden Tag 100 Kilometer ins Büro fährt, ist das nur ein Pseudo-Landleben. Eines mit negativer CO2-Bilanz und mieser Work-Life-Balance, quasi ein falsches Leben im richtigen.
Sicher, die Spritkosten kommen rein, und spät-abends steht mir die Zalando-Lounge im Netz offen, aber meine schwarzen Johannisbeeren im wiederbelebten 1A-Bauerngarten werden wohl ungenutzt verkommen wie Kalbsteaks auf einer Vegetarier-Grillparty. Allein die Vitamine, die ich im Winter in Kapseln aus der Apotheke hole, um meine Arbeitskraft in den dunklen Monaten aufrechtzuerhalten, kosten mich ein Vielfaches dessen, was für das Konservieren der 30 Kilo Beeren nötig wäre. Nicht mal Zucker braucht die pektinreiche Vitalbombe. Hausgemachter Saft, Gelee und Schnaps sind wahre Wohltaten für Gaumen und Seele, die kein noch so gut sortierter Händler hier im Regal stehen hat.
Aber es geht ja nicht nur um mich. Denn anders als bei Kindern merkt man einem Garten mangelnde Zucht und Fürsorge sofort an. Wo der eigene, moderat verwahrloste Nachwuchs heutzutage als Gestalt gewordenes Astrid-Lindgren-Ensemble unter Applaus über den Anger toben kann, erntet eine ungezähmte Naturlandschaft vor dem Haus kaum Zuspruch. Es nützt nichts, im Büro eine gute Figur zu machen. Blühen erst einmal die Disteln in der Kräuterschnecke, wird man als faules Mitglied der Dorfgemeinschaft geächtet. Wenn das Beerenobst am Strauch verdorrt, die wilde Möhre über dem Kartoffelfeld thront, beginnen in der Nachbarschaft die Enteignungsfantasien zu sprießen.
Mein Mann, der niemals auch nur einen Quadratzentimeter seiner Scholle abgeben würde, plädiert für die radikale Lösung. Einmal mit dem Kreiselmäher über die verwahrlosten Nutz- und Ziergartenareale geschoben, dann etwas Grassamen ausgestreut, und alsbald herrscht wieder die allseits gewünschte Ordnung. Mit einem arbeitsfreien Wochenende ist das wohl zu schaffen, aber als Exil-Städterin begrabe ich ungern die eigene Landlust-Vision. Was hilft’s. Der Seele und Körper zermürbende Spagat zwischen Büro und Landleben muss beendet werden. Schluss mit der Fronarbeit für Fiskus, Finanzhai und Fashionmafia! Wann, wenn nicht jetzt, wo, wenn nicht hier, und wer, wenn nicht wir, pfeift mein Gatte und kündigt schon einmal unsere Flatrate-Verträge.
Verhungern können wir schließlich nicht, und wer weiß, vielleicht ergeben sich mit dem finalen Ausstieg ja auch ganz neue Möglichkeiten. Immerhin wurde mir schon Geld für meine Schwarze-Johanna-Marmelade angeboten, als ich noch dazukam, sie zu machen. Da kann doch mehr draus werden. Mit einem Marketingkonzept fürs schwarze Gold aus Vorpommern oder so. Auch das unbeschreiblich satte Gelb unserer XL-Hühnereier sollte ein paar Euro abwerfen, mit dem Overnight-Express direkt auf das Frühstücksbuffet vom Adlon oder Ritz-Carlton nach Berlin. Da lösche ich meine Zalando-Lounge-Registrierung lieber noch nicht.
Von Anja Baum und André Meier gibt es zwei Bücher über ihr Landleben: »Hollerbusch statt Hindukusch« und »Die kleiner Ausstegerfibel«. Sie können die Bücher bei uns direkt und versandkostenfrei bestellen.