Text: André Meier
Wir haben jetzt auch Enten. Die Vorbereitungen waren nicht ohne. Erst zäunten wir unsere Obstbaumwiese mit einem undurchdringlichen Maschendrahtgeflecht ein, um den Fuchs auf Distanz zu halten. Dann wurde der Wochenendschlaf der Hof-Erbin von 16 auf sieben Stunden verkürzt und mit töchterlicher Hilfe aus alten Scheunenbrettern eine rustikale Bleibe für das neue Federvieh gezimmert. Die schaut zwar nicht ganz so geleckt aus wie das im Manufactum-Katalog für 1200 Euro feilgebotene Zwei-Quadratmeter-Entenhäuschen, hat dafür aber großstädtische Laubengröße. Und auch wenn hier und da ein paar rostige Nägel hervorstehen, den Enten gefällt’s.
Die Tiere hatten bis dato ihr junges Leben in unbequemeren Quartieren zugebracht. Zuletzt zuckelten sie stundenlang – in kleine Gitterboxen eingepfercht – über die vorpommerschen Dörfer.
Entgegen unseren sonstigen Gepflogenheiten haben wir die Tiere diesmal nicht beim Biobauern unseres Vertrauens erworben, sondern beim rollenden Geflügelhändler. Von der Sorte gibt es gleich drei, die bis in den Spätherbst hinein durch die Region touren. Das Lokalblatt teilt mit, in welchem Flecken sie wann und wo aufstoßen. SERO 13.10 stand hinter dem Namen unseres Dorfes, weshalb ich mich am Mittwoch nach Ostern zur Mittagszeit an den Papiercontainern einfand. Und während ich dort auf den Geflügeltransporter wartete, staunte ich wieder einmal über die Halbwertzeit solch absonderlicher DDR-Begriffe; selbst zwei Jahrzehnte nach dem Ende des VEB (siehe Wikipedia) Kombinat (siehe Wikipedia) Sekundär-Rohstofferfassung ist dessen Kürzel im Osten noch immer Synonym für alles, was irgendwie mit Recycling zu tun hat.
Um 13.27 Uhr riss mich allerdings lautes Hupen aus meinen Erinnerungen an jene Zeit zurück, in denen ich noch als Jungpionier leere Weinflaschen zur Unterstützung des Vietkong einsammeln durfte. Inzwischen trinke ich sie ohne hehres Ziel aus, so ist das mit dem Ende der Ideologien.
Als sich die Klappe des Geflügeltransporters endlich öffnete, brach ein markerschütterndes Angstgepiepse aus, das auch die mächtige Stimme des Verkäufers kaum zu übertönen vermochte. Was ich denn haben will, schrie mir der Mann entgegen. »Sechs Enten«, brüllte ich zurück. Welche Sorte es denn sein soll, man hätte schließlich auch französische Warzenenten und polnische Mularden im Sonderangebot, wollte er wissen. Ich schob ein lautes »Deutsche Hausenten!« hinterher. In MV wird bald wieder gewählt, da ist Vorsicht geboten.
Doch »Made in Germany« hin oder her, unsere neuen Entchen hatten an ihrer Lagervergangenheit schwer zu knabbern. Erst nach Tagen fanden sie den Weg ins saftige Gras, und auch in den extra für sie angelegten Schwimmteich musste ich sie anfangs noch tragen. Mittlerweile aber haben sie sich an die Freiheit gewöhnt, gedeihen prächtig und lassen jeden Hofbesucher in Verzückung ausbrechen.
Einzig mich betrübt der Anblick der Enten. Habe ich doch für Ende November bereits ihren Hinrichtungstermin mit der Lohnschlächterei vereinbart.